Rahel Ostgen, Leiterin der Drehscheibe Kreislaufwirtschaft bei Swiss Recycling, begrüsste über 90 Teilnehmende zum Webinar vom 16. Februar 2023 und gab eine kurze Einführung ins Thema. Der Circular Economy Action Plan ist das Kernstück des europäischen Green Deals. Im Rahmen dessen wurde auch die Revision der bisherigen Verpackungsverordnung (Nr. 94/62/EG) angekündigt, um diese auf das Konzept der Kreislaufwirtschaft auszurichten. Ende letzten Jahres (30. November 2022) folgte die Veröffentlichung eines Entwurfs der Richtlinie, die neu als Regulation daherkommt. Die PPWR würde also unmittelbar in allen EU-Mitgliedstaaten und für alle Verpackungen, egal aus welchem Material, gelten.
Ist eine starre Ausrichtung auf Zirkularität sinnvoll?
Joachim Quoden, Geschäftsführer von Expra (Extended Producer Responsibility Alliance), erläuterte die Inhalte des Vorschlags für eine neue EU-Verpackungsgesetzgebung. Er zeigt den Überblick der breiten Palette an Bestandteilen der PPWR von Rezyklierbarkeits-Zielen, Post-Consumer-Rezyklatanteilen von Kunststoffverpackungen, Reduce und Reuse-Aspekten, Labeling-Vorschriften und auch möglichen Pfandpflichten. Diese teilweise extremen Forderungen für die Industrie, werden damit begründet, dass es aktuell zu viele Verpackungen gibt. Ein weiteres Problem stellen die Barrieren der Zirkularität sowie das tiefe Niveau des Rezyklateinsatzes dar. Es wird auch mit Verboten (z.B. gewisser Verpackungsformate, insbesondere Kleinverpackungen mit Einmalportionen) und Mehrweg-Zielen gearbeitet.
Joachim Quoden stellt dabei auch die Frage, ob diese starre Ausrichtung auf Zirkularität Sinn macht oder ob man die Aspekte nicht stärker auf das Klima ausrichten sollte. Eventuell, so Quoden, wäre eine flexiblere Ausgestaltung und Formulierung in Richtung „Zirkularität bei gleichzeitiger Klimaneutralität“ sinnvoller. Auch dem Unterschied zwischen den Mitgliedstaaten betreffend Reduktions-Zielquoten wird keine Rechnung getragen (Stichwort Fairness?). Die Einführung von Mehrweg-Pfand-Systemen für den Handel oder Getränkehersteller wird grössere oder kleinere Hürden für grosse vs. mittelgrosse bis kleine Händler und Getränkehersteller mit sich bringen. Gleichwohl sind kollektive Quoten beim Einsatz von Rezyklaten im Vergleich zu den vorgeschlagenen stringenten Bestimmungen für alle Verpackungen aus Kunststoff vielleicht sinnvoller, so Quoden.
Ziel: Harmonisierung bei Kennzeichnung in der EU
Insbesondere der letzte Punkt - der Rezyklat-Einsatz-Quoten für Kunststoffe - stellt eine grosse Herausforderung dar, da noch viele Unklarheiten bestehen (z.B. ob das chemische Recycling zugelassen ist und unter welchen Bedingungen). Die PPWR fordert ausserdem eine 100%-Recyclingfähigkeit aller Verpackungen bis 2030 (theoretisch) sowie eine praktische Recyclingfähigkeit (d.h. die entsprechende Sammel- und Recyclinginfrastruktur ist vorhanden) bis 2035. Die Definition der Rezyklierbarkeit soll dabei über Rechtsakte festgelegt werden.
Auch betreffend Kennzeichnung will die EU eine Harmonisierung zwischen den Mitgliedsstaaten schaffen und ein einheitliches Labeling etablieren, vermutlich nach nordischem Vorbild. Kleiner Hinweis: Swiss Recycling veranstaltet am 20. April ein Webinar zum Thema Green Claims, wo die rechtlichen Grundlagen auch angeschnitten werden. Dies sowohl auf den Verpackungen als auch auf den Abfallbehältern. Dahingehend gilt es zu erwähnen, dass die Europäische Kommission dabei ist, Frankreich wegen der Triman-Kennzeichnung zu verklagen (Verstoss gegen freien Warenverkehr).
Pfandsystem für Plastikflaschen und Dosen gefordert
Die PPWR fordert zudem ein Pfandsystem für Plastikflaschen und Dosen. Ausnahmen sind möglich, sofern ein System ohne Pfand dieselbe Performance bzw. mindesten 90% Sammelquote ausweist. Hinweis: In der Schweiz wird diese Sammel-Quote sowohl für PET-Getränkeflaschen als auch für Aluminiumdosen übertroffen. Die Recyclingziele wurden erst kürzlich erhöht, entsprechend in der PPWR nicht wieder angehoben.
Es gilt aber auch hier festzuhalten, dass der Vermessungszeitpunkt der Quote geändert hat. Für die Recyclingquote ist das Material beim Eingang des Extruders im Verhältnis zur Marktmenge massgeblich. Die PPWR stellt auch Anforderungen an die Erweiterte Produzentenverantwortung (EPV) und verlangt verlässliche Systeme mit finanziellen Garantien.
Wann tritt die neue Regulation in Kraft?
Wann und in welcher Form die PPWR in Kraft tritt, ist aktuell schwierig zu sagen, da der Prozess gerade erst begonnen hat. Wichtig ist festzuhalten, dass im Mai/Juni 2024 neu gewählt wird, wenn bis dahin also kein Abschluss stattgefunden hat, ist es möglich, dass das Prozedere wieder von vorne beginnt.
Was bedeutet die neue Regulation für die Schweiz?
Anschliessend gab Patrick Semadeni, Vorstandsmitglied vom Schweizerischen Verpackungsinstitut (SVI) einen Überblick, was das für die Schweiz bedeutet. Auch in der Schweiz ist das Thema Kreislaufwirtschaft auf der politischen Agenda: Mit der Parlamentarischen Initiative 20.433 «Schweizer Kreislaufwirtschaft stärken» steht eine potenzielle Revision des Umweltschutzgesetzes (USG) bevor. In der Sitzung vom 15.02.2023 hat der Bundesrat indes auch Stellung genommen zum Vorschlag der UREK-N und unterstützt die Vorlage (siehe hier).
Gesetzliche Grundlage für Verpackungen bilden in der Schweiz aktuell insbesondere zwei Regelwerke: Die Verordnung über Getränkeverpackungen (VGV), welche Getränkeverpackungen regelt, und die Verordnung über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen (VVEA). Es gibt keine allgemeine Verpackungsverordnung, entsprechend gibt es mit Ausnahme der Getränkeverpackungen auch keine quantitativen Ziele für Verpackungen. Mit der USG-Revision öffnet sich der Weg zu mehr Kreislaufwirtschaft. Es sind sowohl Produkteverbote und -vorgaben möglich, eine Teil-Liberalisierung des Abfallmonopol ist möglich und es gilt das Primat der stofflichen Verwertung vor der thermischen.
Betreffend der PPWR sind Schweizer Unternehmen indirekt vor allem in zwei Fällen betroffen: Wenn sie Waren in die EU exportieren, die von einem Importeur weiterverkauft werden oder bei einem Direktexport zum Verbrauch. Die beiden Fälle unterscheiden sich betreffend Verantwortlichkeiten. Dennoch betont Semadeni, wer Waren in die EU exportiere, tue gut daran, dass diese mit der neuen PPWR konform sind.
Empfehlungen für Schweizer Unternehmen
Für Schweizer Unternehmen empfiehlt sich also ebenfalls den Materialeinsatz zu minimieren, Design for Recycling Guidelines zu beachten, einen maximalen Einsatz von Rezyklat anzustreben und Reuse Systeme zu etablieren, wo dies sinnvoll ist. Wie schon Quoden betont auch Semadeni: Es geht um Ressourceneffizienz und Kreislaufschliessung. Die ökologisch beste Lösung ist materialunabhängig und auf Basis wissenschaftlicher Fakten und Verfahren anzustreben.
Was Unternehmen tun können, ist, eigenverantwortlich für hohe Sammelquoten sorgen. Obwohl wir bei Glas, Alu und PET-Getränkeverpackungen bereits auf hohem Niveau sind, besteht insbesondere beim Gemischtkunststoff noch Aufholbedarf. Hier engagieren sich auch viele Unternehmen über die ganze Wertschöpfungskette im Rahmen des Projekts «Sammlung 2025» für eine nationale Sammlung und Verwertung von Verpackungen aus Kunststoff und Getränkekartons.
Semadeni betont ausserdem, dass es eine neue Art des Denkens erfordert. Abfälle sind Wertstoffe. Wir haben in der Schweiz die Möglichkeiten mit einer aktiven Wirtschaft eine weniger stringente Lösung als in der EU mit einem tieferen Regulierungsgrad zu erreichen. Dafür braucht es aber das Engagement und die Zusammenarbeit der Branche.
Im Anschluss wurden auch noch diverse Fragen der Teilnehmenden beantwortet. Falls Sie das ganze Webinar nachhören möchten, können Sie die Aufzeichnung kostenpflichtig bei Swiss Recycling beantragen (info). @ swissrecycling.ch
Hier finden Sie alle Unterlagen zur PPWR: